Ein subjektives Stimmungsbild der 100. Contergan-Stiftungsratssitzung vom 21.7.2015 in Berlin (Persönlicher Erlebnisbericht einer fast bühnenreifen Veranstaltung)
Vor Beginn der 100.Sitzung am 21.7.2015 so gegen 10 Uhr 45 meldete sich unser Rechtsanwalt Dr. Partsch beim Pförtner des Familienministeriums mit Ausweis an und kündigte sich offiziell als Besucher an. Dies sorgte nach Aussage einer Mitbetroffenen unmittelbar danach schon für eine gewisse Unruhe und Irritation in den Reihen der Ministerialbeamten und des Vorstands.
Als es noch Vormittags zu Anfang der Sitzung zum Tagesordnungspunkt kam, wo es um die permanenten Verstöße gegen das IFG (Informationsfreiheitsgesetz) ging, kam es zum Eklat. Fast alle Contergan-Betroffenen ohne Stimmrecht auf den einfachen Zuschauerplätzen sowie die beiden Stiftungsratsmitglieder Andreas Meyer und Christian Stürmer (außer Frau Hudelmaier im Vorstand, auch contergangeschädigt) verließen aus Protest den Sitzungssaal für ca. 15 Minuten, als es um die Frage Wort- , Verlaufs- oder Beschlussprotokoll ging. Herr Meyer forderte Wort- oder zumindest Verlaufsprotokoll denn die ministeriale Obrigkeit wollte uns weiter, wie im Dezember 2014 beschlossen, wieder mit einfachen Beschlussprotokollen abspeisen . Diese Mogelpackung wurde durch geschlossenes Verlassen des Stiftungssaals durch die Conterganopfer konterkariert.
Herr Linzbach, der Vorsitzende, bat dann die Aufsichtsratsmitglieder Stürmer und Meyer, sie mögen doch wieder zurück in den Sitzungsraum kommen. Darauf entgegnete Herr Meyer wörtlich: "Wenn er was von uns will, soll er doch rauskommen". Frau Hudelmaier, kam später aus dem Sitzungssaal heraus und versuchte zu vermitteln, ging jedoch am Anfang nicht mit den Contergan-Opfern raus.
Auf jeden Fall gab es viel Tumult und Diskussionen außerhalb und innerhalb des Sitzungsaals als es auch um die Frage ging, ob und in wie weit man z.B. Videoaufzeichnungen für Gehörlose anfertigen lassen darf und ob das juristisch korrekt sei. Denn das für Gehörgeschädigte bereit gestellte Textlaufband ist viel zu schnell und ist durch das schnelle Schreiben inhaltlich nur ansatzweise nachvollziehbar. Besonders für Behinderte, die teilweise gehörgeschädigt sind und daher nie die Gebärdensprache lernen brauchten. Daher ist eine Textaufzeichnung aller gesprochenen Worte während der Sitzung unumgänglich. Es entstanden kontroverse Diskussionen in verschiedenen Gruppen. Dies führte in Folge zu deutlicher Unruhe und bewirkte eine längere Unterbrechung der Sitzung.
Herr Meyer hat danach für kurze Zeit teilweise die Gesprächsleitung übernehmen wollen. Das Publikum klatschte bei kritischen und begründeten Argumenten und stimmte symbolisch auch mit , obwohl es dazu leider kein Stimmrecht hat. Auch gab es sehr heftige Zurufe und Beschwerden von den "billigen Plätzen" der Grünenthal-Opfer, die dieser Alibi Veranstaltung gnädigerweise beiwohnen durften.
Wider Erwarten zeigte sich die Ministerin Frau Marlene Rupprecht ehrlich und aufrichtig bemüht, wirklich etwas verändern zu wollen. Sie kam mit sehr guten praktischen Vorschlägen. Frau Rupprecht erschien mir jedenfalls glaubhaft, das sie echt was verändern möchte, machte aber auch indirekt klar, das auch Sie in diesem Netz von Vorschriften und ministerialen Dirigismus eingeengt ist. Das konnte sie an praktischen Beispielen glaubhaft rüber bringen.
Die einzigen demokratisch gewählten Stiftungsratsmitglieder Christian Stürmer und Andreas Meyer haben perfekt zusammen gearbeitet. Sie ergänzten sich. So nach dem Motto: Der eine macht "Radau" und der andere zeigt sich später konziliant und verhandlungsbereit. Sie ergänzten sich auch thematisch und in ihrer Argumentationsweise.
Herr Linzbach, der Vorsitzende, erschien mir wesentlich toleranter und gesprächsbereiter zu sein als sein Nachfolger. Er konnte zuhören , wirkte aber zeitweise auch etwas unsicher. Er ließ Zuschauerfragen zu. Dies auch aufgrund des voran gegangenen Antrags von Herrn Meyer. Auch nur die bloße Anwesenheit der Betroffenen als Zuschauer sowie das Stellen von Fragen von den eigentlich Betroffenen war in früheren Zeiten über 30 Jahre nicht erlaubt. Auch das die Zuschauer Fragen stellen durften oder es laut gelacht, und geklatscht wurde, gab es früher nicht. Dadurch das ein Anwalt anwesend war und ein Eilantrag auf Herausgabe von Informationen nur 5 Tage vor dem Sitzungstermin gegen die Conterganstiftung in Form eines Hängebeschlusses mit enger Fristsetzung gestellt wurde, begannen sich die Herrschaften viel stärker in Richtung Gesprächsbereitschaft und Diskussion auf "Augenhöhe" zu bewegen. Wobei wir als fremd bestimmte Contergan-Opfer bildlich gesprochen vom Zeh jetzt vielleicht gerade mal die Wade erreicht haben. Es ist also noch ein weiter Weg bis die gleiche Augenhöhe erreicht ist.
Ich habe jetzt bewusst nur die Stimmung im Sitzungssaal und die Handlungen der einzelnen Figuren subjektiv geschildert, da ich denke das es mehr um Zuhören und uns Ernst nehmen geht, als um die Sachthemen. Denn wir können sachlich die besten Argumente vorbringen. Wir bleiben durch das ungerechte Stiftungsgesetz stets eine Stimmenminderheit von 2 gegen 3 Ministerialbeamte im Stiftungsrat. Der Vorstand ist ohnehin aus dem Ministerium. Nur wenn wir es schaffen, das die uns echt ernst nehmen, und uns zumindest eine stimmenmäßige Parität im Stiftungsrat und im Vorstand geben, können wir von den ständig, je nach Legislaturperiode wechselnden Ministerialbeamten vielleicht ein Entgegenkommen erwarten. Was sich dann später möglicherweise in ihrem geänderten Abstimmungsverhalten widerspiegelt. Die wichtigen kritischen Tagesordnungspunkte wurden gewohnheitsgemäß wieder auf die nächste Sitzung vertagt. Mithin wurde die eigentliche Arbeit bei diesem Termin nur ansatzweise erledigt und der Rest, wie gewohnt, auf die nächste Sitzung vertagt.
Da sowohl unsere Vertreter im Stiftungsrat als auch die Ministerialbeamten und der Vorstand ja für uns, die Betroffenen da sind und eigentlich in unserem Sinne handeln sollten, erlaube ich mir, den agierenden Personen Schulnoten zu geben. Ich gebe den Ministerialbeamten und dem Vorstand ( mit Ausnahme der Vorsitzenden im Stiftungsratsvorstand Frau Rupprecht) ein glattes Ungenügend - Schulnote 6 mit der notwendigen Hausaufgabe, die angefangene Arbeit endlich zeitnah (innerhalb eines Monats) zu Ende bringen ! Auch wenn sie alle dafür nachsitzen müssen. Denn die Tagesordnung wurde nur zum kleinen Teil abgearbeitet. (vgl. Tagesordnung im Anhang und die Ausführungen von Andrea zu den TOPs) Frau Rupprecht kam als Einzige mit der Note: 3 davon, weil sie echte und glaubwürdige Bemühung zeigte.
Leistung des Vorsitzenden Note: 6 (Hausaufgaben nicht zu Ende erledigt)
Leistung des Vorstands: Note: 6 (Hausaufgaben nicht zu Ende erledigt)
Unterhaltungswert: Note: 2+ (noch steigerungsfähig)
Christian und Andreas: Note: 2+ (mit Potential nach oben)
Mitarbeit des Publikums: Note: 3+ (mit deutlichem Potential nach oben)
Fazit:
Es war eine streckenweise film- und bühnenreife Veranstaltung mit hohem Unterhaltungswert. Ihr habt von daher was verpasst. Die Leistung des Vorstands und des Vorsitzenden überzeugte nicht. Die Beauftragung der Anwesenheit eines Rechtsanwalts in Kontrollfunktion war langfristig für alle Conterganopfer sinnvoll, da die Beamten endlich beginnen zu begreifen , das die Zeiten der Vertuschung, Vertagung und Verdunkelung sich langsam ihrem Ende neigen und juristisch geschulte Augen dem Treiben der Stiftung nun genauer zusehen werden.
https://www.conterganstiftung.de/filead ... itzung.pdf