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2009-03-Juni»Sonderzahlungen« - oder das Trostpflaster für die Conterganopfer
Stephan Nuding, contergangeschädigt, Journalist
Hier steht ein Foto von Stephan Nuding
Der Bundestag verabschiedete im Mai das neue Conterganstiftungsgesetz. Demnach erhalten contergangeschädigte Menschen über 25 Jahre hinweg insgesamt 100 Millionen Euro, gestaffelt in jährliche Sonderzahlungen. Die Hälfte der Summe kommt aus dem Topf der Conterganstiftung des Bundes, die andere Hälfte zahlt Arzneimittelhersteller Grünenthal, der das Medikament 1957 auf den Markt brachte. »Da die Bundesregierung zugleich eine Verdoppelung der Renten von bisher monatlich maximal 545 Euro auf den Weg gebracht hat, dürften die Empfänger künftig um bis zu 15.000 Euro besser dastehen als bisher«, meint die FAZ mit Blick auf die »50 Millionen Euro für Contergan-Geschädigte«, die Grünenthal in die Stiftung einfließen lässt. Grünenthal selbst bezeichnet das neue Regelwerk in seiner Pressemitteilung als »Ausdruck des stetigen Dialogs zwischen allen Beteiligten mit dem Blick auf das realistisch Machbare«. Auf den Seiten des BUNDESTAGES erfahren wir, man habe aus Gründen der »Nachhaltigkeit« entschieden, das Geld an die Betroffenen »nicht als Einmalzahlung, sondern über einen gestreckten Zeitraum von 25 Jahren auszuzahlen« - »100 Millionen Euro für Contergangeschädigte« - für die noch rund 2800 in Deutschland lebenden Opfer also ein Grund zum Jubeln? Stephan Nuding, selbst contergangeschädigt, zieht im Tagebuch eine weniger positive Bilanz.
Vorab: Immer wieder wird behauptet, dass die Conterganopfer einen Sonderstatus, gegenüber anderen Behinderten, beanspruchen. Ich widerspreche dieser These. Dass Behinderten, egal welcher Art und Form, in der Bundesrepublik immer noch zu wenig Achtung und Hilfe entgegengebracht wird, ist bekannt. Conterganopfer wollen und werden sich aus dieser Schicksalsgemeinschaft niemals ausschließen. Aber: Conterganopfer sind nicht nur Behinderte, sie sind auch Geschädigte. Geschädigt wurden sie durch das Präparat Contergan, das die Firma Grünenthal entwickelte, produzierte und vertrieb. Behindert werden sie durch diejenigen, die ihnen seit fünf Jahrzehnten einen Ersatz, der den erlittenen Schädigungen entspricht, verweigern.
Als zum 1. Juli 2008 die monatlichen Rentenzahlungen für die deutschen Conterganopfer angehoben wurden, betonten die Vertreter der Regierungsparteien, dass dies ein »erster Schritt« sei, dem »weitere folgen müssten«. Seit dem 14. Mai diesen Jahres ist bekannt, dass diese »weiteren Schritte« lediglich ein Trippeln auf der Stelle sind. Da ich selbst Conterganopfer bin, sind mir die Bedürfnisse, Sorgen und Leiden meiner Mitbetroffenen wohl vertraut. Aus meiner Sicht sind die sogenannten Verbesserungen, die in einer jährlichen »Sonderzahlung« von maximal 4000 Euro für die Schwerstgeschädigten gipfeln, völlig unzureichend. Bereits im Frühjahr 2008 hat die Internationale Contergan und Thalidomide Alliance (I.C.T.A.) den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und der Firma Grünenthal einen detaillierten Schadensplan vorgelegt. In diesem ist sowohl der durch die Conterganentschädigungen verursachte Mehrbedarf, wie auch die Höhe der berechtigten Schadensersatzforderungen beziffert. Dieser Schadensplan wurde vollständig ignoriert. Grünenthal pocht auf den sogenannten »Stiftungsvergleich« von 1972, der das Unternehmen von weiteren Schadensersatzforderungen befreit. Die Bundesregierung vermeidet – so weit wie möglich – das Wort »Schadensersatz« und spricht lieber von einem »Hilfsbedarf«. Dies schlägt sich auch in dem jetzt verabschiedeten Gesetz nieder.
Als meine Mitbetroffene Gihan Higasi und ich am 11. Mai diesen Jahres zu einem Gespräch, das das Änderungsgesetz zum Inhalt hatte, im zuständigen Ministerium in Berlin eingeladen waren, stellten wir die Frage, ob es sich bei den monatlichen Opfergeldzahlungen um eine »Entschädigung« oder eine »Sozialleistung« handele. Nach einigem Zögern hieß es, dass es sich um eine »Sozialleistung mit Entschädigungscharakter« handeln würde. Gihan und ich sprachen anschließend darüber. Wir stellten fest: Die sogenannte »Sozialleistung« entspricht nicht einmal dem »Hilfsbedarf«, geschweige denn den berechtigten Schadensersatzforderungen. Es wird mit Begriffen herumjongliert, die nur Verwirrung stiften.
Warum? Es zwingt sich mir der Verdacht auf, dass die Bundesregierung vorsätzlich den Begriff »Schadensersatz« zu vermeiden sucht. Denn dann müsste sie, nachdem sie durch die »Stiftungslösung« eine »besondere Verantwortung« (Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1976) für die deutschen Conterganopfer übernommen hat, die monatlichen Opfergeldzahlungen mindestens verdreifachen. Ferner wäre ein zusätzlicher Schadensersatz von durchschnittlich 1.000.000 Euro pro Geschädigtem fällig. Hierbei wäre juristisch zu prüfen, ob die Firma Grünenthal und deren Eigentümerfamilie Wirtz, die mit einem Privatvermögen von über 3.000.000.000 Euro zu den dreißig reichsten Familien Deutschlands zählt, nicht auch, den entstandenen Schäden und dem heutigen Wissensstand um den Conterganskandal entsprechend, zur Verantwortung gezogen werden kann.
Wenn ich mir vorstelle, dass ein schwerstgeschädigtes Conterganopfer in Deutschland, das zur Zeit eine monatliche Opfergeldrente von 1090 Euro erhält, nun mit einer Sonderzahlung von ca. 4000 Euro »besser gestellt« werden soll, weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Selbst in Brasilien erhält ein beispielsweise an Armen und Beinen geschädigtes Conterganopfer 1800 Euro monatlich. In Italien sind es sogar 3900 Euro und in England 3500 Euro, zuzüglich der Einmalzahlungen von bis zu 100.000 Euro in den letzten zehn Jahren.
Die Bundesregierung beruft sich gerne darauf, dass in diesen Ländern die Sozialleistungen schlechter seien, als in der Bundesrepublik. Aus meiner Sicht spielt dies für die Entschädigungsfrage überhaupt keine Rolle.
Abschließend ist festzustellen: Das 2. Änderungsgesetz zum Conterganstiftungsgesetz ist völlig unzureichend. Es bleibt hinter den berechtigten Forderungen und Erwartungen der Conterganopfer weit zurück. Das Gesetz gereicht der Bundesregierung nicht zur Ehre.
Schlagwörter: Contergan, Conterganstiftung, Conterganstiftungsgesetz, Einmalzahlungen, Grünenthal, Schadensersatz, Tagebuch
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