Quelle rundschau-online
Mit dem Rollstuhl in den Landtag
Von Michael Fuchs, 15.05.12, 07:01h
Im Landtag warten Hindernisse: Rollstuhlfahrer kommen zwar in den Plenarsaal, aber nicht ans Rednerpult. Ein lange geplanter Umbau findet in der Sommerpause statt, vorher muss die Verwaltung improvisieren.
Stefan Fricke

Stefan Fricke (50) zieht für die Piratenpartei in den Landtag ein. (Foto: Meisenberg)
Köln - Stefan Fricke hat das Rheinufer als Treffpunkt vorgeschlagen. „Ist doch schön hier mit dem Dom“, sagt er. Hinter ihm ragt eine Treppe steil nach oben. Zum Glück gibt es daneben noch eine Rampe. Die ist Fricke (50) gerade mit seinem Elektro-Rollstuhl runtergedüst – und zwar ziemlich flott.
Am Nachmittag will der frisch gewählte Abgeordnete der Piratenpartei in den Landtag nach Düsseldorf fahren, zum ersten Treffen der Fraktion. Für ihn als Contergan-Opfer ist das mit dem öffentlichen Nahverkehr eine kleine Odyssee. „Von meiner Wohnung in Dellbrück brauche ich bis zum Landtag anderthalb Stunden pro Fahrt.“ Vom Bahnhof Mülheim müsse er die S-Bahn nehmen, weil es keinen Aufzug zum Regionalexpress gebe.
Auch im Landtag warten Hindernisse. Rollstuhlfahrer kommen zwar in den Plenarsaal, aber nicht ans Rednerpult. Ein lange geplanter Umbau findet in der Sommerpause statt, vorher muss die Verwaltung improvisieren. Denn mit Fricke und Lisa Steinmann (46, SPD), die den Wahlkreis Köln II direkt gewonnen hat, ziehen erstmals zwei Abgeordnete ins Parlament ein, die im Rollstuhl sitzen.
Computerexperte Fricke ist ein Urgestein bei den Kölner Piraten. Er trat im Gründungsjahr 2006 in die Partei ein. „Damals gab es bundesweit 300 Mitglieder, in Köln nur eine Handvoll.“ Vorher war er Mitglied bei den Grünen, trat aber wieder aus. Wie kam er darauf, sich politisch zu engagieren? „Das war 1980, ich war 18. Da wurde ein Reiseveranstalter vom Gericht verurteilt, einer Kundin Schadenersatz zu zahlen, weil in ihrem Hotel eine Behindertengruppe untergebracht war. Das muss man sich mal vorstellen!“
In Sachen Gleichberechtigung für Behinderte und Barrierefreiheit habe sich seither einiges getan. „Aber vieles ist noch mühsam“, sagt Fricke. „Vor 20 Jahren konnte ich mit dem Rollstuhl überhaupt keine Busse und Bahnen benutzen, jetzt komme ich fast überall rein. Aber es gibt noch zu viele Haltestellen, die nicht barrierefrei ausgebaut sind. Es muss eine Selbstverständlichkeit werden, dass alle öffentlichen Bereiche für Rollstuhlfahrer genau so gut erreichbar sind wie für andere Menschen.“ Dafür wolle er sich einsetzen – wie auch dafür, dass Bürger mehr Zugang zu Informationen und mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in der Politik bekommen.
Auch für die SPD-Abgeordnete Lisa Steinmann, die seit einem Badeunfall 1997 querschnittsgelähmt ist, ist Barrierefreiheit ein wichtiges Thema. Es gelte, Vorbehalte und Unsicherheiten im Umgang mit Behinderten auszuräumen und dazu gehöre, öffentliche Bereiche rollstuhlgerecht zu gestalten. „Allerdings bin ich der Meinung, dass ein barrierefreier Eingang pro Gebäude reicht. Man muss nicht unbedingt jede Tür behindertengerecht umbauen für viel Geld – denn dieses Geld fehlt dann für andere wichtige Projekte.“
Der Weg zum Landtag fällt für die Veranstaltungskauffrau nicht so beschwerlich aus. „Ich fahre selbst Auto, kann allein entscheiden, wann ich wohin will.“ Ihren Rollstuhl fährt sie mit Muskelkraft. „Das hält mich fit. Helfen lasse ich mir nur, wenn es nicht anders geht – etwa an einer hohen Bordsteinkante. Aber dann tue ich das auch ohne jede Eitelkeit.“